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Liebe in der Kutsche.

Aus den Memoiren von
Giacomo Casanova.

Unterwegs las Casanova häufig ein Buch oder erholte sich schlafend von den anstrengenden Abenteuern in der Stadt, aus der er gerade kam. Denn er reiste nicht oft in Begleitung von Damen: Zu zwei Dritteln seiner Reisen zu Lande war er allein in seinen Wagen!

Ein hilfreiches Gewitter    -     Zu zweit im Einsitzer      -     In Casanovas Wohnmobil    .

Weitere Erlebnisse in der Kutsche: Raubüberfälle


Pasiano di Pordenone, im venezianischen Friaul, Mai 1742. Der 17-jährige Casanova ist zur Villa Gozzi ins benachbarte Visinale gefahren. Sein Erlebnis auf der Rückfahrt überschreibt er selbst (Geschichte meines Lebens, Bd. 1, Kap. V) mit:
Ein hilfreiches Gewitter.
    Am Himmelfahrtstag machten wir alle der Signora Bergalli, die bei allen italienischen Dichtern berühmt war, einen Besuch. Als wir nach Pasiano zurückfahren mußten, wollte die hübsche Pächtersfrau in den viersitzigen Wagen steigen, in dem schon ihr Gatte mit ihrer Schwester Platz genommen hatte, während ich ganz allein in einer zweirädrigen Kalesche saß. Ich beschwerte mich vernehmlich über dieses
Mißtrauen; die Gesellschaft hielt ihr vor, sie dürfe mir diesen Schimpf nicht antun. Daraufhin kam sie zu mir, und da ich dem Kutscher gesagt hatte, ich wolle auf dem kürzesten Weg fahren, trennte er sich von allen anderen Wagen und schlug den Weg durch den Wald von Cecchini ein.
    Der Himmel war klar, aber in weniger als einer halben Stunde zog eines jener typischen italienischen Gewitter auf, die eine halbe Stunde dauern, anscheinend Himmel und Erde erschüttern und dann spurlos verschwinden; der Himmel ist wieder klar, und die Luft hat sich abgekühlt, so daß sie gewöhnlich mehr Nutzen als Schaden bringen.
    "Ach, mein Gott!" sagte die Pächtersfrau. "Wir kommen in ein Gewitter."
    "Ja, und obwohl die Kalesche ein Dach hat, wird der Regen leider Ihr Kleid verderben."
    "Was kümmert mich das Kleid? Ich habe Angst vor dem Donner."
    "Verstopfen Sie sich die Ohren."
    "Und der Blitz?"
    "Kutscher, wir wollen uns irgendwo unterstellen."
    "Häuser gibt es erst eine halbe Stunde von hier", antwortete er mir; "und in einer halben Stunde ist auch das Gewitter vorüber."
        Mit diesen Worten fährt er gemächlich seines Weges weiter, und schon folgt Blitz auf Blitz, der Donner grollt, und die arme Frau zittert. Der Regen setzt ein. Ich ziehe meinen Mantel aus, um uns beide damit zu schützen; da flammt der Himmel taghell auf, es blitzt, und hundert Schritte vor uns schlägt es ein. Die Pferde bäumen sich, und meine arme Begleiterin zuckt krampfhaft zusammen. Sie wirft sich an meine Brust und umklammert mich ganz fest mit ihren Armen. Ich bücke mich nach dem Mantel, der auf den Boden gefallen war, und als ich ihn aufhebe, erwische ich zugleich ihre Röcke. Sie will sie gerade wieder herunterstreifen, da fährt erneut ein Blitz nieder, und vor Schrecken kann sie sich nicht rühren. Ich will den Mantel über sie breiten und ziehe sie näher zu mir heran, so daß sie buchstäblich und mit meiner Hilfe rittlings auf mich fällt. Da ihre Stellung nicht günstiger sein kann, verliere ich keine Zeit, sondern tue so, als greife ich nach meiner Uhr im Hosenbund, und nutze die Gelegenheit.Es wird ihr klar, daß sie, wenn sie mich nicht augenblicklich daran hindert, sich nicht mehr wehren kann. Sie macht eine Anstrengung; aber ich sage ihr, wenn sie sich nicht ohnmächtig stelle, werde sich der Kutscher umdrehen und alles sehen. Bei diesen Worten lasse ich sie mich beschimpfen, soviel sie will, halte sie im Rücken fest und trage den vollständigsten Sieg davon, den jemals ein gewandter Gladiator davongetragen hat.
    Der Platzregen und der Gegenwind waren so stark, daß sie nichts tun konnte, als mir erbittert vorzuhalten, ich bringe sie um ihre Ehre, denn der Kutscher müsse sie doch sehen.
    "Ich sehe ihn", erwiderte ich; "er denkt garnicht daran, sich umzudrehen. Und wenn schon, der Mantel deckt uns beide vollkommen zu. Seien Sie gescheit und spielen Sie die Ohnmächtige, denn loslassen werde ich Sie bestimmt nicht."
    Sie fügte sich und fragte nur, wie ich dem Blitz mit solcher Verruchtheit trotzen könne. Ich erwiderte, der Blitz sei mit mir im Bunde; sie war beinahe versucht, das zu glauben, und hatte fast keine Angst mehr. Als sie meine Ekstase sah und spürte, fragte sie mich, ob ich nun fertig sei. Ich lachte und sagte nein, denn ich wollte vor dem Ende des Unwetters ihr Einverständnis erreichen. "Sträuben Sie sich nicht, oder ich lasse den Mantel fallen!"
    "Sie sind ein schrecklicher Mensch, Sie haben mich für den Rest meines Lebens unglücklich gemacht. Sind Sie jetzt zufrieden?"
    "Nein."
    "Was wollen Sie noch?"
    "Eine Flut von Küssen."
    "Ich Unglückliche! Also, da haben Sie, was Sie wollen."
    "Sagen Sie, daß Sie mir verzeihen. Geben Sie zu, daß ich Ihnen Freude mache."
    "Ja, Sie sehen es doch. Ich verzeihe Ihnen."
    Dann trocknete ich sie ab, und als ich sie bat, mir denselben Gefallen zu tun, sah ich, daß sie lächelte.
    "Sagen Sie, daß Sie mich lieben", verlangte ich.
    "Nein, denn Sie sind ein gottloser Mensch, und die Hölle erwartet Sie."
    Nachdem ich sie auf ihren Platz zurückgesetzt und das Unwetter sich verzogen hatte, versicherte ich ihr, der Kutscher habe sich nie umgedreht. Unter Scherzen über das Abenteuer und Handküssen sagte ich ihr, ich sei davon überzeugt, daß ich Sie von ihrer Gewitterangst geheilt hätte, daß sie aber niemandem das Geheimnis verraten werde, wem sie diese Heilung verdanke. Sie erwiderte, auf jeden Fall sei sie sicher, daß noch nie eine Frau durch ein solches Mittel geheilt worden sei.
    "Das muß im Lauf von tausend Jahren eine Million Male vorgekommen sein", sagte ich. "Ich gestehe Ihnen sogar, daß ich damit gerechnet hatte, als ich in die Kalesche stieg; denn mir schien es das einzige Mittel zu sein, in Ihren Besitz zu gelangen. Glauben Sie mir, auf der ganzen Welt gibt es keine einzige furchtsame Frau, die in Ihrer Lage zu widerstehen gewagt hätte."
    "Das mag sein; aber in Zukunft werde ich nur noch mit meinem Mann fahren."
    "Wie ungeschickt von Ihnen; denn Ihrem Mann wird es garnicht einfallen, Sie zu trösten, wie ich es getan habe."
    "Auch das ist wahr. Mit Ihnen gelangt man zu ungewöhnlichen Erkenntnissen; doch verlassen Sie sich darauf, daß ich nie wieder mit Ihnen zusammen reisen werde."
    Unter anregenden Gesprächen langten wir noch vor allen anderen in Pasiano an. Kaum war sie ausgestiegen, lief sie in ihr Zimmer und schloß sich ein, während ich nach einem Scudo für den Kutscher suchte. Der lachte.
    "Worüber lachst Du?"
    "Das wissen Sie genau."
    "Hier, nimm den Dukaten. Aber halte den Mund."

Lyon, Juni 1763. Casanova hat gerade eine Chaise de Poste gekauft, die er hier auch "solitaire" nennt, denn diese Wagen sind stets einsitzig. Er will gerade nach Paris fahren, da wird er von einem Herrn gebeten, ihn und seine Tochter mitzunehmen (Geschichte meines Lebens, Bd. 9, Kap. V).
Zu zweit im Einsitzer.
    Ich stieg in meinen Einsitzer, Adele setzte sich zwischen meine Beine, [ihr Vater] Moreau kletterte hinten auf, [mein Diener] Clairmont bestieg sein Pferd und so fuhren wir ab. Es war neun Uhr.
    Adele saß anfänglich sehr steif; ich forderte sie auf, sich bequemer zu setzen, und sie tat es. Sie irritierte mich nur, weil ich sah, wie unbehaglich ihr Platz war; sie konnte sich mit dem Rücken nur an mich anlehnen, und ich fand, ich dürfe sie zu dieser Ungezwungenheit nicht ermutigen, die allzu leicht Folgen haben konnte. Ich unterhielt mich mit ihr ohne jeden Hintergedanken bis l'Arbresle, wo wir während des Pferdewechsels natürlicher Bedürfnisse halber ausstiegen.
    Dann kletterte Adele nach mir in den Wagen, und ich reichte ihr die Hand, um ihr über die große Stufe heraufzuhelfen, denn diese Wagen haben keine Trittbretter. So war Adele gezwungen, genau vor meinen Augen die Röcke zu raffen und das Bein sehr hoch zu heben; dabei erblickte ich schwarze Kniehosen an Stelle ihrer weißen Schenkel. Dieser Anblick mißfiel mir; ich sagte zu ihrem Vater, der ihr von rückwärts half:
    "Monsieur Moreau, Adele trägt ja schwarze Hosen."
    Sie errötete, und ihr Vater erwiderte lachend, glücklicherweise habe sie nur ihre Hosen sehen lassen.
Diese Antwort gefiel mir; aber die Sache an sich ärgerte mich, denn den Einfall, Hosen anzuziehen, kann man in Frankreich bei einem Mädchen nur als sehr ungebührlich bezeichnen, falls es nicht ein Pferd besteigen muß; und selbst dann verzichtet ein bürgerliches Mädchen auf Hosen und begnügt sich damit, ihre Röcke richtig zu ordnen. Ich glaubte, in Adeles Hosen eine beleidigende Absicht, eine schützende Vorkehrung zu entdecken. Ihre Sorge war zwar verständlich, aber sie hätte sie sich keinesfalls machen dürfen. Dieser Gedanke verdarb mir die Laune, und ich sprach bis Saint-Symphorien nichts (...).
 

 

So viel zum Thema weibliche Unterbekleidung. Da es nicht in der Chaise, sondern während der übernächsten Nacht im Hotel in St. Pierre-le-Moutier zum Äussersten kommt, ist dafür hier leider kein Platz ...
 
 
 
 


St. Petersburg, Sommer 1765. Casanova fährt mit seiner russischen Freundin Zaira, einem blutjungen Bauernmädchen, zum Manöver ins nahe Krasnoje Selo. Seinen Wagen, den er in Riga gekauft hatte, nannte er auf Deutsch "Schlafwagen". Solche Fahrzeuge habe ich bislang nur im Film gesehen, sie sehen aus wie Häuser auf Rädern (Geschichte meines Lebens, Bd. 10, Kap. VI):
In Casanovas Wohnmobil.
    Wir kamen um acht Uhr morgens hin, und an diesem ersten Tag fanden Aufmärsche [zur Infanterieparade] statt, die bis Mittag dauerten; dann fuhren wir vor einem Wirtshaus vor und ließen uns das Essen in den Wagen bringen, denn das Haus war so voll, daß wir keinen Platz gefunden hätten.
    Nach dem Essen ging mein Kutscher überall herum, um eine Unterkunft zu suchen, fand jedoch keine. Ich ließ mich nicht beirren und entschloß mich, da ich nicht nach Petersburg zurückkehren wollte, in meinem Wagen zu wohnen. Das tat ich die ganzen drei Tage, und alle, die für sehr schlechte Unterkünfte sehr viel bezahlt hatten, fanden das ausgezeichnet. Melissino sagte mir, die Zarin [Katharina II.] habe meinen Ausweg sehr vernünftig gefunden.
    Auf diese Weise hatte ich ein fahrbares Haus ["maison ambulante"] und stellte mich überall dort auf, wo ich sicher und bequem die Aufmärsche an diesem Tag sehen konnte. Außerdem war mein Wagen eigens dafür gebaut, um sich mit einer Geliebten wohl zu fühlen, denn er enthielt ein Bett. Ich war der einzige, der bei dieser Parade einen solchen Wagen hatte; man machte mir Besuche, und Zaira als die Dame des Hauses glänzte in russischer Sprache, die ich zu meinem Leidwesen nicht verstand.
Rückreise nach Königsberg (1110 km) mit der Pariser Schauspielerin Valville, zwölf Tage "im Bett" (Bd.10, Kp.VII):
Mit einer Abbildung von Casanovas Schlafwagen kann ich leider nicht dienen, aber auf meiner Karte von Casanovas Reisewegen können Sie rechts oben ahnen, wo die beiden entlang gefahren sind (St. Petersburg ganz oben, Königsberg beim Abzweig nach Warschau. Vgl. "Poststraßen", mit Detail - Foto).
   Nach dieser traurigen Trennung [von Zaira] wurde die Valville meine einzige Freundin, und nach drei oder vier Wochen waren wir zur Abreise bereit. (...).
    Da ich in meinen Schlafwagen eine gute Matratze und Decken gelegt hatte, schlief ich darin mit der Valville, die diese Art des Reisens ebenso angenehm wie unterhaltsam fand, denn eigentlich lagen wir im Bett.
    Am nächsten Tag hielten wir in Caporja, um Mittag zu essen, da wir im Wagen genügend Vorräte und gute Weine mitgenommen hatten. (...).
    In Königsberg verkaufte ich meinen Schlafwagen, und da ich allein geblieben war, mietete ich einen Platz in einem viersitzigen Wagen, der nach Warschau fuhr.


Ende von "Liebe in der Kutsche" mit einem Bild, das Casanova zweifellos selbst betrachtet hatte:
aus einer in meinem Besitz befindlichen Ausgabe des 18. Jahrhunderts der
"Académie des Dames", genannt auch "Aloisia Sigaea" oder "Meursius" von Nicolas Chorier -
eines von drei bis vier pornographischen Werken,
die Casanova stets in seiner Reisebibliothek mit sich führte.


Copyright by Hartmut Pablo Günther 2019.

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