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Raubüberfälle.

Aus den Memoiren von
Giacomo Casanova.

Wie die beiden jungen Damen hier konnte man meistens entspannt und in Sicherheit reisen. Denn viel seltener, als man vielleicht meinen könnte, wurden Reisende zu Pferd oder im Wagen von Räubern überfallen. Casanovas einzige Erlebnisse dieser Art können Sie hier nachlesen.

Deserteure vor Köln    -    Überfall alla Napolitana     Weitere Erlebnisse: Liebe in der Kutsche


Poststraße Amsterdam-Mannheim, zwischen den Poststationen in Dormagen und Köln (heutige B 9), Februar 1760. Casanova ist mit seiner Chaise de Poste "Paris 2" unterwegs, sein spanischer Diener Leduc sitzt oder steht hinten auf (Gml, Bd.6, Kap. II).
Deserteure vor Köln.
In Utrecht hielt ich mich nur einen Tag auf, um den Ort [Zeist] zu sehen, der den Herrnhutern gehörte, und am übernächsten Tag kam ich mittags in Köln an; aber eine halbe Stunde vorher legten fünf desertierte Soldaten, drei rechts und zwei links, ihre Gewehre auf mich an und verlangten meine Börse. Mein Postillon gab, von mir mit der Pistole in der Hand bedroht, dem Pferd die Sporen; die Wegelagerer schossen auf mich, trafen aber nur den Wagen. Sie waren nicht so gescheit, auf den Postillon zu schießen. Hätte ich, wie die Engländer, zwei Börsen bei mir gehabt, von denen die leichtere für beherzte Räuber bestimmt ist, hätte ich sie diesen Elenden hingeworfen; aber da ich nur eine einzige wohlgefüllte besaß, wagte ich mein Leben, um sie zu retten. Mein Spanier [Leduc] wunderte sich, daß ihn die Kugeln, die er an seinem Kopf vorbeipfeifen hörte, nicht trafen.

Poststraße "Via Appia" Neapel - Rom (heute N 7), Januar 1761. Bei diesem spektakulären "Raubüberfall" passierte weiter garnichts... Es gab noch nicht einmal Räuber. Casanovas Wagen  war sein Englisches Coupé "Pisa" (Gml, Bd. 7, Kap. XI).
Überfall alla Napolitana.
Kapitel XI. Mein Wagen bricht zusammen.   Mein Spanier [Leduc] ritt voraus, Don Ciccio Alfani saß neben mir, und ich schlief in dem ausgezeichneten, mit vier Pferden bespannten Wagen tief, als ich plötzlich durch einen heftigen Stoß erwachte. Man hatte zu Mitternacht auf der großen Straße gerade hinter Francolise, vier Meilen vor Sant'Agata [vierte Poststation von Neapel; Post von Sessa Aurunca], den Wagen umgeworfen. Alfani unter mir schrie vor Schmerzen und glaubte, er hätte den linken Arm gebrochen, was sich aber später nur als Verrenkung herausstellte. Leduc war umgekehrt und berichtete, die beiden Postillone seien geflüchtet; sie würden vielleicht Straßenräuber herbeiholen.
 
Ich kletterte ohne Mühe durch die Türe über mir aus dem Wagen; aber der alte Alfani konnte mir mit seinem verletzten Arm nicht folgen und mußte herausgehoben werden. Wir brauchten eine Viertelstunde dazu. Sein durchdringendes Geschrei brachte mich zum Lachen, denn er spickte seine törichten Gebete an seinen Beschützer, den heiligen Franz von Assisi, mit wunderlichen Flüchen.

Ich selbst war es schon gewohnt, mit dem Wagen umzustürzen, und so hatte ich mich nicht verletzt. Das liegt nur an der Haltung. Don Ciccio hatte sich vielleicht deshalb den Arm verletzt, weil er ihn hatte hinaushängen lassen [aus dem Türfenster].

Ich holte aus dem Wagen meine langläufigen Pistolen, da ich nur kurze in der Tasche hatte, meinen Karabiner und meinen Degen. Leduc befahl ich, sein Pferd wieder zu besteigen und bewaffnete Bauern aus der Umgebung gegen Geld zu holen. Inzwischen legte sich Don Ciccio stöhnend auf den harten Boden und war vollkommen außerstande, sich der Diebe zu erwehren; ich machte mich also ganz allein bereit, ihnen mein Geld und mein Leben so teuer als möglich zu verkaufen. Da mein Wagen neben dem Graben lag, spannte ich die vier Pferde aus, band sie im Halbkreis rings um die Räder und die Deichsel und stellte mich mit meinen fünf Feuerwaffen hinter sie.

In dieser verzweifelten Lage mußte ich doch über den armen Alfani lachen, der ebenso röchelte wie ein sterbender Delphin am Meeresstrand, und der die schauerlichsten Verwünschungen ausstieß, als es einer Stute, die mit der Kruppe zu ihm stand, einfiel, ihre Blase auf ihn zu entleeren. Da half nichts; er mußte den ganzen übelriechenden Regen über sich ergehen lassen und mir mein Gelächter verzeihen, das ich nicht zu bezähmen vermochte.

Die Dunkelheit der Nacht und ein starker Nordwind machten meine Lage noch verdrießlicher. Beim geringsten Geräusch, das ich hörte, rief ich 'Wer da' und bedrohte jeden mit dem Tod, der sich mir zu nähern wagte. Ich mußte zwei volle Stunden in dieser tragikomischen Situation ausharren.

Endlich kam Leduc in gestrecktem Galopp und mit lautem Geschrei, gefolgt von einer Schar Bauern, die mit ihren Laternen zu meiner Hilfe herbeieilten. Es waren zehn oder zwölf, alle mit Gewehren bewaffnet und bereit, meinen Anweisungen zu gehorchen.

In weniger als einer Stunde war der Wagen wieder auf die vier Räder gestellt, man spannte die Pferde an und setzte Don Ciccio auf seinen alten Platz. Ich entließ die Bauern reich entlohnt und behielt nur zwei, die mich als Kutscher im Morgengrauen zur Post von Sant'Agata brachten. Dort machte ich einen Heidenlärm.

"Wo ist der Postmeister? Hole mir einer rasch einen Notar, denn man muß sofort ein Protokoll aufnehmen. Ich beanspruche eine Entschädigung; und die Postillone, die mich auf einer ausgezeichneten Straße umgeworfen haben, was sie unmöglich ohne Absicht getan haben können, müssen wenigstens zu den Galeeren verurteilt werden."

Ein Stellmacher erschien, untersuchte meinen Wagen und fand, daß eine Achse gebrochen war. Er müsse eine neue anfertigen; deshalb müsse ich wenigstens einen Tag bleiben.

Ohne mir etwas zu sagen, ging Don Ciccio, der einen Wundarzt brauchte, zum Marchese Galiani, den er kannte; dieser kam persönlich, um mich zu bitten, ich solle bei ihm wohnen, bis mein Wagen wieder instandgesetzt war. Ich nahm seine Einladung an. Er befahl sogleich, daß man meinen Wagen in sein Kutschenhaus stellen solle. (...).

Nach dem Abendessen verabschiedete ich mich von allen und reiste bei Tagesanbruch ab, um am nächsten Tag in Rom zu sein. Ich hatte auf sehr guter Straße nur fünfzehn Poststrecken zurückzulegen.



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